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Montag, 2. Mai 2011

Barbarei

Die Frage des Tages: Wieviel Barbar steckt in uns und wieviel Barbar ertragen wir?
Wie ich auf die Frage komme? Die Reaktionen rund um die Bin Laden Operation drängen sie mir auf.



Artikel 102 des Grundgesetzes sagt einfach und unmissverständlich: die Todesstrafe ist abgeschafft. Damit ist unsere Verfassug in dieser Hinsicht recht klar und eindeutig.
Was heute Nacht in Pakistan geschah, ist kaum vorstellbar: eine fremde Macht dringt in einen souveränen Staat ein, und richtet mehrere Menschen hin. Nicht im Gefecht. Ohne Urteil.
Und das wirklich Perverse: die Welt freut sich drüber. Und mit der Welt die Kanzlerin, die der Verfassung, dem deutschen Strafrecht und dem Völkerrecht einschließlich der Menschenrechte verpflichtet ist.
Da frage ich mich doch: gehts noch?!

Ok, Bin Laden ist nicht irgendwer. Sein Terrornetzwerk bedroht die Welt. Oder große Teile davon. Zumindest die für mich wesentlich relevanten. Wenn man das so ausdrücken kann. Aber ist es nicht eine Errungenschaft der Neuzeit, dass jeder Mensch gewisse Rechte hat? Auch der, der sich neben die Rechtsordnung stellt? Dass auch der größte Verbrecher das Recht auf einen fairen Prozess hat? Dass wir in Deutschland sogar soweit sind, dass wir sagen: niemand hat das Recht, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen. Auch der Staat nicht. Diese Grundprinzipien bedeuten mir viel. Sie sind die Basis meines Rechtsverständnisses.
Und das gilt auf einmal nicht mehr?

Kann sich irgendwer vorstellen, dass sich die GSG9 in Deutschland einfach irgendwo abseilt, in ein Gebäude eindringt, und ohne den Willen, eine Person festzunehmen diese einfach erschiesst? Also ich kann es mir nicht vorstellen. Auf die Spitze getrieben wäre es ja nichtmal die GSG9, sondern eher die französischen Fremdenlegion. in Deutschland. Unvorstellbar.
Aber wenn der große Bruder das tut, steht die Welt da und applaudiert.

Sind wir wieder so weit? Auge um Auge? Werden wir wieder zu Barbaren, zu rachsüchtigen Wesen? Und sollte uns nicht genau davor das Gesetzt schützen? Dass wir ungezügelt den rachsüchtigen Emotionen nachgeben? Rache ist nach dem deutschen Strafrecht sogar ein Mordmerkmal. Das heisst aus Totschlag (Strafe: mindestens 10 Jahre) wird Mord (Strafmaß: lebenslänglich). Rache ist also ein besonders niedriger Beweggrund einen Menschen zu töten.
Und die deutsche Politik steht da und applaudiert?

Irgendwie ist mein Weltbild gerade aus den Fugen geraten.

Wenn man denn schon den großen Bruder nicht brüskieren will, dafür mag es ja diplomatisch durchaus Gründe geben, kann man dann nicht wenigstens schweigen?


Darum stelle ich mir die Frage: sind wir wirklich so zivilisiert, rechtstaatlich und aufgeklärt, wie wir immer tun? Oder schlummert nicht doch ein kleiner Barbar in uns, der eigentlich nur nach Rache und Genugtuung strebt?

Ich weiß, Bin Laden war ein schrecklicher Mensch. Doch auch schreckliche Menschen haben Rechte. Das macht die Überlegenheit des Rechtstaats aus.

Ich werde heute mit flauem Magen schlafen gehen. Die Reaktionen schocken mich.

2 Kommentare:

  1. Ich war heute morgen auch geschockt, als ich das hörte. Und mich, Jahrgang 1970 und damals Schulsprecher, wollten israelische Austauschschüler dafür verantwortlich machen, was in Deutschland im Dritten Reich damals passiert ist...

    Da scheinen weltweit aber nicht nur die USA diese "Sonderstellung" zu haben, auch der Mossad hat in der Vergangenheit sehr oft im Namen Israels zu solchen "Methoden" gegriffen. Aber dass das Vorgehen der amerikanischen Truppen gegen Bin Laden von so vielen Regierungen sogenannter "Rechtsstaaten" gutgeheißen wird, das lässt sich mir den Magen rumdrehen...

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  2. Mann kann sich darüber empören, gewiss, ich schaffe es jetzt aber nicht so richtig - auch wenn ich mir von einigen deutschen Politikern eine bessere Ausdrucksweise gewünscht hätte.

    1. Dass die USA auch in Pakistan de facto Krieg führen, ist seit Jahren bekannt. Bei Drohnenangriffen sind schon häufig völlig Unbeteiligte getötet wurden, teilweise einfach durch Versehen.
    2. Dass die USA den 11. September als militärischen Angriff auffassen, und nicht als Verbrechen, das mit polizeilichen Mitteln zu behandeln ist, war auch schon allen bekannt. Bzw. sie behandeln es als irgendetwas dazwischen (siehe Status der Guantanamo-Häftlinge)
    3. Solche Aktionen gab es schon oft, der israelische Geheimdienst macht so etwas andauernd, z.B. schon in den 70er Jahren bei der Jagd auf die Olympia-Terroristen oder bei vielen gezielten Tötungen von Hamas- und Hisbollah-Führern.

    Also: Ich finde die Aktion jetzt *innerhalb des Gesamtgeschehens* in Pakistan und Afghanistan nicht soo menschenverachtend.

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