Seiten

Sonntag, 9. Dezember 2018

Alles ein bisschen viel grad

"Alles ein bisschen viel grad". Wie oft habe ich diesen Satz in den letzten Tagen, Wochen, ehrlicherweise Monaten gesagt? Wie oft habe ich ihn im selben Zeitraum gehört? Und wie toxisch ist diese Formulierung?



"Alles ein bisschen viel grad" suggeriert, dass unter normalen Umständen alles gut ist. Dass die Umstände halt grad nicht normal sind und das auch nur vorübergehend. Dass man EIGENTLICH alles im Griff hat. Gut funktioniert. Nur jetzt grad ist es halt etwas viel.

"Alles ein bisschen viel grad" schiebt Probleme im System beiseite. Macht aus einem strukturellen Problem eine vorübergehende Baustelle. Die man durch kurze Notmaßnahmen in den Griff bekommt. Entbindet einen von der Verantwortung, sich einmal vom Grund auf mit der Sache zu beschäftigen.

Für beide Seiten. In allen Bereichen.

Was ich meine?
"Alles ein bisschen viel grad, oder?", vorgetragen mit besorgter Miene von meinem Chef. Suggeriert: "Ich sehe, Sie haben grad viel zu tun. Ich nehme Sie wahr."
Verschweigt: Löse Dein Problem mal schön selbst, ist ja nur vorübergehend. Lässt auch völlig außer acht, dasss dieses "bisschen viel grad" die dritte Zusatzaufgabe ist, die zu einer Teilzeit auf zwei Vollzeitposten dazu kommt. Und enthebt ihn der Verantwortung, sich einmal grundsätzlich mit der Problematik auseinander zu setzen. Und gibt mir ein "durchhalten" mit auf den Weg. Ist ja nur vorübergehend.

"Alles ein bisschen viel grad" ist auch sich selbst gegenüber nicht unbedingt ehrlich. Es ist ok, wenn neben den Alltag eine außergewöhnliche Belastung tritt. Ein Umzug, ein außergewöhnliches Familienfest oder so.
"Alles ein bisschen viel grad" ist trügerisch, wenn es auftaucht, sowie nicht alle Komponenten perfekt ineinander greifen (was sie ehrlicherweise ja äußerst selten tun). Wenn das eigene Leben so auf Kante genäht ist, dass der Normalbetrieb schon keine Reserven mehr zulässt. In Zeit oder Kraft. Es kleistert Risse im System zu, die unweigerlich irgendwann aufbrechen.
Es suggeriert nach außen, dass es nur vorübergehnd ist. Es wiegelt ehrliche Hilfsangebote ab.
Weil eigentlich funktioniert man ja.

Soviel zu den Gedanken am Morgen.
Also jetzt: Gang raus, zweite Adventskerze entzünden, runterkommen und mal grundsätzlich nachdenken.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen