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Sonntag, 6. Juni 2010

An Bord

Erneut dasselbe Thema: eine Woche Segeltörn auf dem Mittelmeer.
Zugegeben: ich bin mit viel Vorfreude, aber auch mit mindestens genauso vielen Befürchtungen längs durch Europa gefahren, um an einem schönen Sonntag Nachmittag an Bord zu gehen.



Die Freude: eine Woche mit der Familie zu verbringen - kann auch ganz schnell zur Befürchtung werden, was aber zum Glück nicht geschah!
Die Freude: eine Woche Wind und Wasser geniessen zu dürfen. Die Befürchtung: zu viel Wind und zu unruhiges Wasser mit kräftiger Seekrankheit. Dazu später.
Die Freude: ein Boot erleben. Die Befürchtung: alles wird viel zu eng und wir gehen uns nach wenigen Tagen so richtig gegenseitig auf die Nerven. Ist zum Glück auch nicht eingetreten.

Aber nun schicken wir die Landratten gedanklich wieder an Bord. Die erste Herausforderung bestand bereits im Überwinden der Gangway. Nix da stabil, mit Handlauf und so. Ist ja schliesslich kein Kreuzfahrer. Also schaukelten wir erstmal alle solo an Bord, und danach ging es dann unter erschwerten Bedingungen mit Gepäck in den Händen weiter. Hat alles geklappt.
An Bord wurde ich angenehm durch die Geräumigkeit unseres Segelbootes überrascht. Im Salon hätte man auch ohne Probleme tanzen können. Auch die Kabinen waren ausreichend geräumig und zur grossen Verwunderung des Skippers haben wir sogar das reichliche Gepäck gut verstaut bekommen.
Wobei nur ein Teil Klamotten waren. Der weitaus grössere Teil waren Lebendmittel. Irgendjemand hatte die Parole ausgegeben, dass an Bord anständig gegessen würde, und vor allem der übermässige Verzehr von Nudeln nicht erwünscht sei. Und so mussten eben Nahrungmittel ohne Fertigprodukte für eine Woche bei sechs Essern an Bord geschafft werden. Erstaunlich, was alles in so einen kleinen Kühlschrank passt ..... doch wer lecker essen möchte, muss auch Opfer bringen. In unserem Fall hat es das Anlegebier getroffen, das mangels kühler Unterkunft an den ersten beiden Abenden warm getrunken werden musste.


Der erste Tag auf See verlief nach dem Auslaufen aus dem Hafen mit viel Hallo sehr ruhig und entspannt. Einfach schön. Erstaunlich war, dass das Leben, die Arbeit und was sonst normalerweise so lästig an einem herumhängt und zerrt, sich einfach mit jeder gesegelten Seemeile weiter entfernte und schon am ersten Tag quasi hinter dem Horizont versank.
Das auf der Gangway erlernte Gleichgewicht wurde im Laufe der Woche immer weiter ausgebaut.  Beliebte Übungen: Bewegen an Deck, ohne ständig in jemanden reinzustolpern. Hier hat sich irgendwann die Ansage des Skippers bewährt: ruhig sitzen bleiben und die an Land übliche Höflichkeit des Platz machens vergessen. Denn ist man der sich bewegende Teil, peilt man eine Lücke an, verlagert entsprechend das Gleichgewicht, und tut sich bei schwankendem Untergrund verdammt schwer, eine Kurskorrektur vorzunehmen, wenn ein besonders höflicher Zeitgenosse, die eben noch klaffende Lücke duch ein Zurückziehen der Füsse belegt. Aus Schmerzen lernt auch der höfliche Zeitgenosse.
Ebenso gut zum Üben des Gleichgewichtssinns: Arbeiten am Baum in den Wellen, beispielsweise beim Befestigen des faulen Sacks. Besonders witzig, wenn dabei die Grossschot noch ein wenig Spiel hat und der Baum etwas hin und her schlägt. Aber auch hier hilfreiche Tipps vom Skipper: der sonst heilige und deswegen auf keinen Fall zu versperrende Niedergang eignet sich ganz hervorragend zur Belegung von oben. Man steht erstaunlich stabil da oben. Allerdings waren die Wellen auch gnädig mit uns. Es hat nur sanft geschaukelt. Beim nächsten Trip nehmen wir dann die nächste Schwierigkeitsstufe.
Und wo wir schon auf dem Wasser sind: auch schnell zu lernen waren luv und lee. Nicht nur als Stuermann, sondern auch als sich auf dem Vordeck bewegende Personen. Nie im lee stehen. Dank fachkundiger Erklärung, war auch schnell klar, warum. Wer will schliesslich schon bei Reissen der Leinen bestenfalls einen Schwimmkurs belegen, schlimmstenfalls zur Matschbirne werden?
Auch so eine Erfahrung an Bord: auf einmal spielt die Natur wieder wirklich eine Rolle. Also nicht  nur in der Frage: Regenjacke oder kurze Hose? Sondern so richtig. Und auf einmal fühlt man sich wieder klein und abhängig. Oder mal wieder an den richtigen Platz gestossen. Alles eine Frage der Sichtweise. Aber ich habe dieses Leben mit der Natur sehr genossen. Und dieses Bewusstsein, dass eben nicht alles sicher ist. Und dass es sinnvoll ist, gewisse Regeln einfach zu befolgen.Wobei einfach befolgen in unserer Crew eher die Ausnahme war. Also nicht, weil sie irgendwie ungehorsam war. Aber man darf ja mal vorsichtig anfragen, wozu es diese Regel gibt und warum es sinnvoll ist, sie zu befolgen. Es war also sehr diskussionsfreudig.

Kommen wir zu der noch unbesprochenen Befürchtung der Seekrankheit: am ersten Tag hatte sich ein Teil der Crew vorsorglich mit so seltsamen Reisekrankheitskaugummis gedopt. Ok, uns war nicht schlecht, aber die Nebenwirkungen waren vorsichtig ausgedrückt interessant. Zunächst war der gesamte Mundraum, zum Teil auch der Rachen richtig betäubt. Ein Gefühl fast wie beim Zahnarzt. Einschliesslich tauber Zunge mit Lallgefahr. Und das lange vor dem ersten Bier des Tages (und nebenbei bemerkt auch lange nach dem letzen Bier des Vorabends).
Getoppt wurde dieses Gefühl nach circa einer Stunde durch einen Zustand der gesamten fast-Lähmung. Also einem Gefühl, als ob einem jemand den Stecker gezogen hat. Betäubt und weggetreten. Nicht schön.
Also am nächsten Tag keine Kaugummis, dafür irgendwann eine schöne Dünung, die das Boot hübsch zum schaukeln gebracht hat. Ob es jetzt technisch stampfte oder rollte, ist mir in der Rückschau nicht mehr so ganz gegenwärtig. Allerdings schlug das Schaukeln auf diverse Mägen. In unterschiedlicher Intensität. Aber auch hier hat sich wieder der erfahrene Skipper bewährt: auf den Horizont schauen hilft wirklich und essen nicht vergessen! Klingt paradox, ist aber so.
Und als kleinen Tipp: nicht sofort kopfüber in irgendwelchen Kisten versinken, sowie die Übelkeit etwas nachgelassen hat .....

Das eine oder andere Crewmitglied hat an Bord auch ein ganz neues Gefühl zu den eigenen Körperdimensionen erfahren. Während es einiges gelang, sich stossfrei unter Deck zu bewegen, hatten es sich andere offensichtlich zum Ziel gesetzt, jede Kante persönlich mit Kopfstoss zu begrüssen und abzurunden. Wenns Spass macht ....


Was ich vorher nicht vermutet hätte: das Boot hatte an Deck im Heck aussen eingelassene Lautsprecher. Schönen Blues im Hafen zu hören ist schon grossartig. Unübertroffen ist aber das lautlose Dahingleiten unter Segeln und dazu den Klängen der Kings of Leon zu lauschen. Ich mochte die Scheibe ja vorher schon sehr gerne. Aber jetzt ist sie mit unvergesslich schönen Bildern verknüpft, was das Hören wegen akuter Sehnsuchtsgefahr künftig ein wenig riskant erscheinen lässt. Aber was beklage ich mich, es gibt wirklich Schlimmeres!

Ebenso unvergesslich wird auch die Nacht in der Bucht bleiben. Der Abend war traumhaft. Mit einem wirklich farbenfrohen Sonnenuntergang. Die Sorge der Übelkeit in der etwas unruhigeren Bucht hat sich gottseidank nichterfüllt. Interessant war aber die erhöhte Wachsamkeit der Mannschaft, die sich durch erhöhte Wachgänge an Deck bemerkbar machte. So checkten die Einen erhöht die Lage an Deck, während andere ob der Aktivität verstärkt aus dem Schlaf gepoltert wurden. Eine interessante Nacht.

Dieser Törn wird uns allen noch lange in Erinnerung bleiben. Geprägt durch viel Fröhlichkeit, noch mehr Diskussionen, Entspannung und dem unbeschreiblichen Gefühl, frei übers Meer zu schweben. Einem geduldigen Skipper, der auch auf die abwegigsten Fragen eine kompetente Antwort wusste (oder die Antwort zumindest kompetent erscheinen zu lassen wusste - wer weiss das schon so genau?! :)). Und mit einer geradezu bewundernswerten Geduld immer wieder auf dieselben Dinge hinwies, denselben Knoten zeigte .... "Immer über das Steuer greifen, niemlas durch"; "Nicht den Niedergang belegen"; "Erst die Grosschot dicht holen, dann an den Baum"
Und wo wir grad beim Skipper sind. Er hatte auch gerne mal ein aufmunterndes Wort parat. Etwa, wenn der Steuermann bei wenig Wind auf Vorwindkurs im Schmetterling mit seltsamer Dünung versuchte, das Schiif mühsam auf Kurs zu halten:"He, was machstn da? Schreibst Du Deinen Namen ins Kielwasser?!"

An dieser Stelle möchte ich erstmal schliessen. Mal sehen, was mir in den kommenden Tagen noch so einfällt ....

Mein grosser Dank geht an Crew und Skipper :)

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